Anhand einiger Posts eines in der Schweiz und Deutschland bekannten Evangelistenehepaares, das mit seinen evangelistischen Events durch die Städte zieht, ist mir wieder aufgefallen, dass wir über das Thema Evangelisation unbedingt neu nachdenken müssen. In einem ihrer Post schreiben sie:
Das klingt ja ganz gut. Diesen Satz hört und liest man immer wieder. Ewiges Leben, Errettung – ein Geschenk! Nichts kann man dafür tun, es ist umsonst, keine eigene Leistung. Genau das ist der Kerngedanke des Evangeliums, der guten Botschaft. Alles andere ist in irgendeiner Weise Selbsterlösung. Nur annehmen muss man es. Das klingt so einfach, so barmherzig. Aber dann kommt es: wehe, wenn man dieses Geschenk nicht annimmt. Dann wird mit den schlimmsten Strafen gedroht. Kein Wunder beschäftigen sie sich in weiteren Posts mit Hölle und Verdammnis. Ich weiß nicht, ob solche Evangelisten sich wirklich schon einmal überlegt haben, dass mit der immer erwähnten Bedingung des »nur Annehmens« am Ende doch wieder eine Leistung nachgeschoben wird. Und zwar eine solch wichtige Leistung, dass ohne ihr Erbringen nur die Hölle bleibt. Ganz deutlich wird das auch durch einen anderen Post:
Solch ein Text wirkt auf den ersten Moment wie eine schlüssige Analogie. Alles im Leben hat Konsequenzen und Folgen. Das klassische Ursache-Wirkung Prinzip. Die bekannten Kausalzusammenhänge, die wir doch überall antreffen. Wer seine Zähne nicht putzt, kriegt Löcher, wer sich nicht gesund ernährt, wird krank und wer sich nicht um sein Leben nach dem Tod kümmert, geht verloren. Was kann man daran nicht verstehen? Ist das nicht die klare Botschaft Jesu und des Evangeliums?
Versteckte Selbsterlösung
1. Es ist zunächst einmal eine hilflose Verkürzung dessen, was es bedeutet ewiges Leben geschenkt zu bekommen. Es steht plötzlich in einer Reihe mit Zähneputzen, Sport treiben und das Zimmer aufräumen. Für all diese Dinge bin einzig und allein ich selbst verantwortlich! Ich bin für meine Fitness, für den Zustand meiner Zähne und das Aussehen meiner Wohnung zuständig. Gesunde Zähne, körperliche Fitness oder eine aufgeräumte Wohnung sind Resultate meiner Leistung, meiner Arbeit, meiner Achtsamkeit, meiner Anstrengung. Und genau in der gleichen Logik bin ich auch zuständig, dass das mit dem ewigen Leben hinhaut. Wenn ich mich nicht kümmere, wenn ich hier nicht Initiative ergreife, wenn ich nicht genug nachdenke, wenn ich nicht genug Wille zeige, dann geht es eben schief mit dem ewigen Leben. Dann bleibt die Verdammnis. Sie ist die gleiche logische Konsequenz wie löchrige Zähne oder ein Messihaushalt.
Man muss nur einen kleinen Moment darüber nachdenken und merkt, dass man zu 100 % bei der Selbsterlösung gelandet ist. Wenn Erlösung und ewiges Leben genauso Folgen meiner Anstrengung sind wie gesunde Zähne oder eine gelungene Ehe, dann braucht es am Ende keinen Erlöser mehr. Selbsterlösung bedeutet nicht, dass alle Anstrengungen und alle Wirksamkeit bei uns alleine liegen, sondern dass ohne meine Anstrengung alle anderen Anstrengungen, selbst die von Gott, wirkungslos bleiben.
Gottes Liebe bleibt hilflos
2. Hinter diese Analogie steckt natürlich ein sehr schräges Menschenbild. Es ist das Bild eines Menschen auf der Höhe seiner selbst. Reif, mündig, sich aller Sinne bewusst und vor allem willensstark. Jemand, der das Richtige erkennen kann und auch noch will. Es lässt außer Acht, dass Menschen oftmals das Richtige und Notwendige nicht erkennen, geschweige denn tun wollen oder erfüllen können.
Es ist eben nicht so, dass man löchrige Zähne bekommt, wenn man selbst nicht die Zähne putzt und es ist ebenfalls nicht so, dass das Zimmer einem Müllberg gleicht, wenn man es nicht selbst aufräumt. Ich habe das nun schon fünfmal selbst miterlebt – nämlich bei meinen Kindern. Je nach Lebensphase, je nach geistiger Bewusstseinsebene, je nach Reife, Vermögen oder motorischen Fähigkeiten sind diese Kleinen auf unsere Unterstützung angewiesen. Sobald die ersten Zähnchen aus dem Unterkiefer herauskommen, fangen Eltern an, ihren Kindern die Zähne zu putzen, die selbst noch überhaupt keinen Sinn für Zähne, geschweige denn Zahnpasta haben. Und wenn sie dann etwas später begreifen, dass Zähneputzen wichtig ist, putzen wir ihnen immer noch die Zähne, weil es ihnen motorisch noch nicht gelingen möchte, die Zähne so zu putzen, dass kein Karies entsteht.
Und beim Zimmeraufräumen ist es ganz genauso: wir helfen, wir unterstützen und je nach Alter machen wir einen größeren oder kleineren Anteil davon. Es ist also keineswegs so, dass die fehlende Eigeninitiative oder das fehlende Eigenvermögen immer zu den schlimmsten Konsequenzen führen muss. Weil ich meine Kinder liebe, putze ich ihnen die Zähne, ernähre ich sie gesund, sorge ich für ausreichend Bewegung, usw. Weil ich meine Kinder liebe ist diese Unterstützung selbstverständlich. Und im Alter ist es übrigens oftmals wieder genauso. Auch hier braucht es wieder jemand Drittes, der beim Zähneputzen, beim Waschen, beim Kochen oder beim Anziehen hilft. Weil ich meine Kinder oder meine alten Eltern liebe, mache ich das für sie, unterstütze ich sie.
Nun können diese Evangelisten ja nicht oft genug betonen, wie sehr Gott die Menschen liebt. Trotzdem scheint er zu dieser Unterstützung nicht in der Lage zu sein. Hier bleibt am Ende alle Initiative und alle Verantwortung beim Menschen. Was der schwache Mensch mit seinen Kindern oder Eltern hinbekommt, scheint Gott bei den seinen nicht zu schaffen.
Vielleicht heißt Erlösung eben nicht nur, Zahnbürsten bereit zu stellen, Fitnessmöglichkeiten zu schaffen oder gesunde Nahrung wachsen zu lassen. Vielleicht heißt Erlösung eben tatsächlich einer gefallenen Schöpfung, die nicht auf der Höhe ihrer selbst ist, die Zähne zu putzen, gesunde Nahrung zu füttern und sie selbst zu bewegen. Nicht weil sie es verdient hat, nicht weil sie danach gefragt hat, nicht weil sie dafür bezahlt hat, nicht weil sie es gewollt hat, sondern weil ein anderer es gewollt hat! Aus Liebe, die sein Wesen ist.
Errettet werden bedeutet dann nicht, zuzugreifen, das Geschenk wirklich zu nehmen, Ja zu sagen, oder sonst irgendeine Leistung zu erbringen, sondern dankbar wahrzunehmen, was schon lange geschehen ist. Dann ist Errettung nicht die Folge einer Leistung, sondern der Beginn einer Begeisterung.