Der Boom der digitalen Begegnungen
Während dieser Coronazeiten sind digitale Treffen das neue Mittel der Wahl! Videokonferenzen über Zoom oder Teams haben im vergangenen Jahr einen ungeheuren Boom erlebt. Sitzungen waren weiterhin möglich, obwohl sich viele Arbeitnehmer im Homeoffice befanden. Sogar die Schule konnte auf Distanz durchgeführt werden, indem Lehrer und Schüler über eine Videoplattform den Unterricht gestalten.
Obwohl am Anfang viele damit gefremdelt haben und die technische Umsetzung für manchen ein Hindernis darstellte, sind inzwischen Jung bis Alt mit dieser neuen digitalen Form der Begegnung vertraut. Sogar unsere Gottesdienste finden zum Teil über Videokonferenzen oder Zoom statt.
Und so wurde für viele von uns diese digitale Form der Begegnung zum Segen. Manch einer genießt seine Arbeit im Homeoffice bald mehr als an der Arbeitsstelle. Und ein Gottesdienst on demand eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Ich kann im Schlafanzug vor dem Bildschirm sitzen oder das Frühstück ausdehnen und erst danach in den Gottesdienst eintauchen. Und wer am Sonntag nicht dazu kommt, der kann auch am Montag den Gottesdienst nachschauen.
Inzwischen bemerken wir aber auch die Nebenwirkungen dieser digitalen Form der Begegnung. Zum Teil erleben wir solche Sitzungen anstrengender, als wenn wir wirklich miteinander vor Ort wären. Nach einem Jahr digitale Sitzungen nimmt die Gereiztheit zu und Missverständnisse häufen sich. Es fehlen wichtige Marker einer Unterhaltung wie Gestik oder gut sichtbare Mimik. Die Unterhaltung bleibt zweidimensional und wir merken, wie dadurch nicht nur visuelle, sondern auch inhaltliche Tiefe verloren geht. Gespräche bleiben eher auf einer sachlichen Ebene und es geht nicht so schnell in emotionale Bereiche hinein. Und jedes gute Gespräch braucht ein gewisses Maß an Resonanz, und genau diese Resonanz ist digital deutlich schwerer wahrzunehmen oder bereitzustellen.
Bei allen Vorteilen, die das digitale Medium mit sich bringt, merken wir, dass etwas fehlt, dass etwas auf der Strecke bleibt, dass sogar etwas verloren geht. Und so wächst nach diesen vielen Monaten wieder die Sehnsucht nach dem Analogen.
Digitalität und Inkarnation
Im Nachdenken darüber sehe ich die Inkarnation Gottes noch einmal aus einem ganz neuen Blickwinkel. Jesus ist Gott analog!
Jesus ist Gott analog!
Am Anfang des Hebräerbriefes lesen wir:
Hebr.1,1 „In der Vergangenheit hat Gott immer wieder und auf vielfältige Weise durch die Propheten zu unseren Vorfahren gesprochen. 2 Doch jetzt, in dieser letzten Zeit, sprach Gott durch seinen Sohn zu uns.“ (HfA).
Das Reden Gottes zu den Menschen, also die von Menschen erfahrbare Gottesbegegnung war gewissermaßen in der Vergangenheit immer digital.
Digitale Kommunikation funktioniert eben so: Da steht nicht ein Mensch dem anderen gegenüber, sondern der Telefonhörer, das Mikrofon, der Bildschirm und das Internet stehen dazwischen, sie vermitteln, sie sind die modernen Mittler der Botschaft.
Und bis Jesus war das auch mit dem Reden Gottes so. Gott redete durch Propheten, Gott redete durch ein Schriftwort, durch eine Schriftrolle, durch einen Traum oder eine Vision. Es ist ein indirektes Reden Gottes. Nicht von Mensch zu Mensch, sondern von Gott über ein Medium zum Menschen. Gottes Reden war im Alten Testament in erster Linie digitales Reden, vermitteltes Reden.
Und diese Art der Kommunikation, diese Art der Begegnung und des Redens hat eine Grenze: sie ist viel weniger unmittelbar, weniger emotional, wortlastig, immer auch distanziert. In dem Sinne sind eigentlich alle Religionen digitale Gotteserfahrungen.
Ein bisschen erinnert es mich an eine Kennenlernplattform, wo man zunächst einmal digital, auf einer Webseite einen Menschen kennenlernt, sich E-Mails sendet, vielleicht sogar miteinander telefoniert. Und dann kommt der große Moment, wo man diesem Menschen dann zum ersten Mal begegnet, ihm gegenübersteht, seine ganze Person wahrnimmt, das Zusammenspiel seiner Mimik und Gestik und etwas von seinem Geruch und seiner Aura wahrnimmt. Das ist etwas ganz anderes. Diese analoge Begegnung kann durch keine digitale wirklich ersetzt werden.
Und aus diesem Grund geschieht die Inkarnation! Gott wird analog. Gott wird unmittelbar, man kann seine Gesichtszüge sehen, das Zusammenspiel seiner Mimik und Gestik, man kann Gott riechen, ihn berühren, ihn ohne dazwischen geschalteten Filter oder Bildschirm mit eigenen Augen sehen!
Hier wird das Christentum als erste Religion analog! Denn auch die Götzenstatuen der Heiden waren digitale Gottesverehrung. Die Götzenstatuen haben als Mittler zwischen den Gottheiten und der Menschen gedient.
Denn auch die Götzenstatuen der Heiden waren digitale Gottesverehrung. Die Götzenstatuen haben als Mittler zwischen den Gottheiten und der Menschen gedient.
Gott erkennt die Notwendigkeit analoger Begegnung für menschliche Beziehungen. So sind wir gemacht, so erleben wir Beziehung am stärksten und intensivsten.
Sehnsucht nach dem Analogen
Und darum verspüren wir nach einem Jahr mit mehr oder weniger Lockdown wieder diese Sehnsucht nach analogen Begegnungen. Wie spüren die Mangelhaftigkeit der rein digitalen Begegnung. Wir möchten wieder jemand an unseren Tisch sitzen haben, einen Gast, dem unser Essen schmeckt, den wir zum Abschied in den Arm nehmen oder bei dem unsere Kinder auf dem Schoß sitzen.
Gleichzeitig war die analoge Phase Gottes eine kurze Episode. Ca. 33 Jahre lang ist Gott analog, seither sind wir wieder in der digitalen Phase. Und doch hat die Inkarnation Gottes deutlich gemacht, wie groß auch die Sehnsucht Gottes nach dem Analogen ist. Und eines wissen wir schon jetzt: der Himmel wird analog sein, die digitale Gottesbegegnung wird endgültig überwunden und abgeschafft.
Und gleichzeitig setzt sich die Inkarnation Gottes fort. An vielen Stellen des Neuen Testaments wird deutlich, dass wir Gott ganz analog im Nächsten begegnen, im Bruder, in der Schwester, im Armen, im Schwachen, im Fremden oder im Kranken.
An vielen Stellen des Neuen Testaments wird deutlich, dass wir Gott ganz analog im Nächsten begegnen, im Bruder, in der Schwester, im Armen, im Schwachen, im Fremden oder im Kranken.
Und vielleicht erschließt sich hier auch ein neuer Zugang zu Pfingsten und dem Kommen des Heiligen Geistes. Die Innewohnung des Geistes, die Inkarnation des Geistes in unserem Herzen, stellt vielleicht ebenfalls die Fortsetzung von etwas ganz Analogen in unsere Gottesbeziehung dar. Der Geist in uns ist mehr als das digitale Reden Gottes durch den Propheten. Gottes Reden in unserem Herzen ist durch den Heiligen Geist unmittelbarer geworden, Inspiration durch Gottes Geist ist nichts Digitales von außen, sondern gleicht mehr dem Analogen in uns selbst.
In diesem Sinne bin ich dankbar für die Inkarnation Gottes und voller Vorfreude auf die kommenden analogen Begegnungen miteinander!