Das ist der dritte Teil meiner Ausführungen zur Frage, wie wir Schicksalsschläge und die Liebe beziehungsweise Allmacht Gottes zusammenbekommen. Teil 1 findet man hier, Teil 2 hier.
Die Ohnmacht Gottes
Diese Antwort ist mehr philosophischer Art, beinhaltet aber trotzdem ganz wichtige Gedanken für diese große Frage. Wir gehen davon aus, dass Gott absolut liebevoll und allmächtig ist. Und bei dieser Kombination dürfte es kein Leid geben. Diese zweite Antwort rüttelt nun an Gottes Eigenschaft der Allmacht Gottes.
Wir gehen bei einem christlichen Weltbild davon aus, dass es am Anfang nur Gott gibt. Nichts anders. Da ist nicht Gott und die Welt. Wenn es mit Gott gleichzeitig die Welt gegeben hätte, wer hätte dann die Welt gemacht? Es kann am Anfang nur Gott geben, denn wenn es noch etwas anderes gegeben hätte, dann müsste es ja wiederum jemanden darüber geben, der Gott und das andere ins Dasein ruft. Insofern kann es am Anfang nur Gott geben.
Und wenn Gott allmächtig ist, der Beginn von allem, dann ist erst einmal für nichts anderes Macht oder Raum zum Dasein vorhanden. Ein allmächtiger Gott hat eben restlos alle Macht, denn wenn noch etwas anderes Macht hätte, wäre Gott nicht allmächtig. Wenn es also neben Gott irgendetwas geben soll, wenn neben ihm noch etwas existieren soll, wenn neben ihm etwas Macht zum Existieren oder zum sich entfalten haben soll, muss Gott auf einen Teil seiner Macht, seines Dasein verzichten.
In der freiwilligen Selbstbeschränkung Gottes, in dem freiwilligen Verzicht auf einen Teil seiner Macht und seines Daseins, schafft Gott den Raum und eröffnet er die Möglichkeit für anderes zu existieren, also für das Dasein von etwas anderem. Und in diesem Machtverzicht, in diesem freiwilligen Rückzug Gottes schafft er den Raum, in dem nun die Schöpfung stattfinden kann, in dem es den Menschen geben kann, in dem der Mensch Macht zum Dasein hat und vor allem einen freien Willen haben kann.
Schöpfung und Willensfreiheit sind nur möglich, durch Gottes freiwillige Selbstbeschränkung, durch Gottes freiwilligen Rückzug.. Indem Gott sein Dasein beschränkt, schafft er Raum für das Dasein einer Schöpfung. Und ich meine das nicht räumlich, sondern inhaltlich.
Aber genau in diesem Machtverzicht Gottes, in dieser freiwilligen Selbstbeschränkung Gottes, eröffnet sich nun auch der Raum für das Böse, ein Raum, in dem Gott auf Machtausübung verzichtet. Und aus diesem Grund erleben wir ein eingeschränktes Wirken Gottes. Wir erleben das Miteinander der Macht und der absichtlichen Machtlosigkeit Gottes. Wir nennen das auch das „schon jetzt“ und „noch nicht“ vom Reich Gottes. Und würde Gott all unsere Gebete erhören und überall seine Macht ausüben und überall allmächtig handeln, dann wäre unsere gesamte Existenz bedroht, denn dann bliebe für nichts Macht übrig. Wer den allmächtigen Gott fordert, fordert damit gleichzeitig das Ende der Schöpfung. Und Gott muss sich am Riemen reißen, nicht mit seiner ganzen Macht einzugreifen und allem Leid ein Ende zu machen, denn das bedroht unsere Freiheit und unsere Existenzmöglichkeit.
Wir leben nun mit dieser freiwilligen Selbstbeschränkung Gottes. Sie ermöglicht uns das Leben, das Atmen und das Sein. Aber die Nebenwirkung ist, dass wir auch auf ein Stück Allmacht Gottes verzichten und nicht gleichzeitig unsere Existenz, unsere Freiheit und Gottes dauerndes Eingreifen fordern können. Und Gott hält sich an diese Selbstbeschränkung aus Respekt, aus Achtung und aus Liebe zu seiner Schöpfung.
Am deutlichsten macht Gott seine Ohnmacht am Kreuz Jesu sichtbar. Und gleichzeitig drückt dieses Kreuz seine Liebe zu den Menschen aus. Darum hat er auch bei der Erlösung den Weg der eigenen Menschwerdung gewählt und nicht als allmächtiger Gott vom Himmel das Problem der Sünde oder der Verlorenheit gelöst. In seiner Selbstbeschränkung hatte er keine andere Wahl, als selbst Mensch zu werden und als Mensch die Welt zu erlösen. Als Jesus gekreuzigt wird, erleben wir Gott hilflos, machtlos. Und zwar selbst gewählt. Jesus hätte jederzeit Legionen von Engeln zur Hilfe rufen können. Aber er verzichtet auf Macht, erlebt absolute Ohnmacht, und bringt gerade dadurch seine Liebe und seine Wertschätzung den Menschen gegenüber zum Ausdruck.
Die Alternative ist sonst immer die Einschränkung menschlicher Freiheit und menschlicher Existenz. Wenn Gottes Macht zunimmt, muss alle andere Macht immer abnehmen. Es ist also ein Ausdruck von großer Liebe zu seiner Schöpfung, dass Gott ihre Freiheit und ihre Existenz nicht einschränken möchte, sondern lieber seine eigene Allmacht einschränkt, selbst wenn es die Begleiterscheinung hat, dass er einen Teufel, Leid, Böses und moralisch schlechte Entscheidungen der Menschen zulassen muss.
Diese zweite Antwort auf das Leid in der Welt lässt sich also so zusammenfassen: Es gibt Leid in dieser Welt, weil Gott der Welt zuliebe, ihrer Existenz und ihrer Freiheit zuliebe auf eigene Macht verzichtet und darum nicht immer so eingreifen kann, wie er es möchte. Wir erleben seine Macht immer wieder, aber eben oft auch noch nicht. Wir leben in diesem Spannungsfeld, das uns Freiheit, Dasein, Entfaltungsmöglichkeiten, Wert und Würde verleiht, aber auch die Möglichkeit von Leid, Bösen und der Abwesenheit von Gottes Macht eröffnet!
Gottes Macht und Ohnmacht stehen also nebeneinander:
- Zum einen erscheint uns vieles auf der Welt sinnlos, planlos – und doch vertrauen wir darauf, dass Gottes Weisheit und Macht größer ist als die unsere und er ganz genau weiß, was er tut; und unser Leben ist und bleibt in seiner Hand.
- Zum anderen erscheint uns Gott ohnmächtig und wir fragen uns, warum er nicht machtvoller und häufiger und umfassender eingreift? Und wir verstehen, dass dahinter Gottes freiwillige Selbstbeschränkung steht, die uns überhaupt Leben, Dasein und Freiheit ermöglicht.
Paulus gelingt es genau diese beiden Aspekte aufzugreifen und wunderbar zu verbinden:
1.Kor.1, 25 Gott erscheint töricht – und ist doch weiser als Menschenweisheit. Gott erscheint schwach – und ist doch stärker als Menschenkraft. (GN)
Andere Übersetzung: Denn hinter dem scheinbar so widersinnigen Handeln Gottes steht eine Weisheit, die alle menschliche Weisheit übertrifft und Gottes vermeintliche Ohnmacht stellt alle menschliche Stärke in den Schatten. (NGÜ)
Paulus redet hier von diesen beiden Antworten: Manchmal erscheint Gott töricht, keinen Plan, Chaos auf der Welt, Gott hat die Kontrolle verloren. Aber hinter diesem scheinbar widersinnigen Handeln Gottes steht eine Weisheit und Macht, die alle menschliche Weisheit übertrifft.
Und manchmal erscheint Gott schwach und ohnmächtig, warum greift er denn nicht ein, ist er nicht allmächtig? Aber Gottes vermeintliche Ohnmacht stellt immer noch alle menschliche Stärke in den Schatten.
Ich lebe mit beiden Antworten, trotz ihrer Widersprüchlichkeit. Sie lösen mir nicht alle Probleme und beantworten nicht alle Fragen, aber sie schenken mir Frieden in meine Seele und helfen mir mein Vertrauen ganz auf Gott zu setzen. Sie erklären mir etwas von diesem Mysterium, ohne es ganz aufzulösen. Und je länger ich mit diesen Antworten lebe, desto mehr wachse ich in sie hinein und können sie ihre Wirkung in meinem Leben entfalten.
Hier kann man diese ganzen Gedanken auch als Predigt ansehen: