Momentan beschäftigen wir uns in unserer Predigtserie mit kritischen Fragen zur Bibel.
Unter anderem geht es darum, wie man die Bibel ernst nehmen kann, wenn sie wirklich Gottes Wort ist.
Ich denke, dass die Bibel ernst nehmen nicht immer bedeutet, die Bibel wörtlich zu nehmen.
Ernst nehmen bedeutet viel mehr sie verstehen wollen, mich von ihr trösten und leiten lassen und ihr gehorsam sein.
Aber es gibt genügend Texte in der Bibel, die durch das wörtlich Nehmen in ihrer Bedeutung gerade nicht ernst genommen werden. Ganz offensichtlich ist das mit der Aussage Jesu in der Bergpredigt:
Mt.5,30 Und wenn dich deine rechte Hand zur Sünde verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Es ist besser für dich, du verlierst eines deiner Glieder, als dass du ganz in die Hölle kommst.
Jeder weiss, dass ich durch das Amputieren eines Körperteils die Absicht Jesu nicht wirklich ernst nehmen würde. Jesus geht es um das radikale und nachhaltige Widerstehen der Sünde gegenüber, das er hier mit einem radikalen Bild zum Ausdruck bringt.
Lk.14, 26 Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.
Auch diese Stelle dürfen wir nicht wörtlich nehmen. Wir würden uns sogar versündigen, wenn wir unsere Eltern oder unsere Kinder oder unsere Glaubensgeschwister hassen würden. Das wörtlich nehmen dieses Wortes »hassen« würde in die Irre führen. Es geht vielmehr um die richtigen Prioritäten und den richtigen Stellenwert der Menschen in unserem Leben.
Es ist eine verständliche Tendenz, wenn Menschen der Einfachheit halber am liebsten alles wörtlich nehmen.Dann muss ich mir nicht Gedanken machen Dann kann ich die Bibel sehr einfach handhaben. Dann vermeide ich offensichtlich jegliche Unklarheiten.
Ich möchte das Leben einmal mit einer Kreuzung vergleichen:
Viele Christen wünschen sich, dass an jeder Entscheidungs-Kreuzung des Lebens eine Ampel steht. Rot heißt stehen und Grün heißt gehen. Genau geklärt, was erlaubt und was verboten ist.
Wo immer ich etwas entscheiden muss, wo sich die Frage stellt, was richtig und falsch ist, was Gottes Wille ist, wünschen wir uns eine biblische Ampel (soll heissen einen entsprechenden Bibelvers). Wir verlassen uns darauf, dass Gott in seiner großen Weisheit jede Ampel richtig geschaltet hat. Wo immer ich an eine Entscheidungskreuzung komme, schaltet Gott für mich die Ampel: rot wenn es verboten ist und grün, wenn es erlaubt ist. So werde ich von Gott auf den Straßen des Lebens sicher geleitet!
Aber leider ist das Leben nicht so. Wir treffen auf viele Kreuzungen in unserem Leben, an denen keine Ampeln stehen, soll heißen für die es keine klaren Bibelstellen oder eindeutige Gebote gibt. Wer sich im Straßenverkehr des Lebens nur mit Ampeln zurechtfindet, hat jetzt ein Problem.
Im echten Straßenverkehr gibt es Kreuzungen, da stehen keine Ampeln oder Schilder. Und deshalb lernt man in der Fahrschule ein paar wichtige Grundregeln. Wie verhalte ich mich im Kreisverkehr? Wann gilt rechts vor links? Was ist eine Vorfahrtsstraße, was eine Nebenstraße? Wie verhalte ich mich, wenn die Ampel ausgefallen ist?
Und wichtiger als alle Ampeln und Verkehrsregeln ist die Haltung des Verkehrsteilnehmers. Rücksichtsvoll fahren, vorausschauend fahren, nicht aggressiv fahren, aufmerksam und konzentriert sein. Diese Haltungen kann kein Verkehrsschild und keine Ampel erzeugen. Aber wenn diese Haltungen da sind, dann braucht es vielleicht nicht einmal mehr Schilder und Ampeln.
Es gibt europaweit Projekte die sich Shared Space nennen. Das sind Straßenabschnitte, wo alle Ampeln, Verkehrsschilder und Verkehrsregeln abgeschafft werden. Der deutsche Ort Bohmte probiert das nun seit einigen Jahren und hat auf der Hauptstraße alle Verkehrsschilder und Ampeln abgeschafft, es hat keine gesonderten Gehwege und das Ganze, obwohl dort täglich 12.000 Autos und 1000 Lastwagen unterwegs sind. Und es hat noch keinen einzigen System bedingten Unfall gegeben. Das Prinzip von Shared Space ist einfach: durch die Aufhebung der Verkehrsregeln sind alle zur gegenseitigen Rücksichtnahme genötigt. So wird beispielsweise die Kommunikation zwischen der jungen Mutter mit Kinderwagen und dem Lkw-Fahrer erzwungen.
Ich will nun überhaupt nicht sagen, dass es keine Gebote oder Regeln mehr braucht und als gäbe es keinerlei Ampeln in der Bibel.
Aber ich glaube, dass die Bibel eben nicht als Ampel gedacht ist, sondern als Fahrschule.
Sie will und kann nicht an jeder Kreuzung des Lebens eine Ampel bieten, die göttliches rot oder grün anzeigt. Die Bibel ist vielmehr die Fahrschule, die mich wichtige Grundlagen und Prinzipien lehrt, die mir helfen an ganz vielen Kreuzungen, an denen keine Ampel steht, trotzdem eine jesusmässige Entscheidung zu treffen. Sie lehrt mich die notwendigen Haltungen, die es für den Lebensverkehr braucht.Ich nenne diese Haltungen ethische Prinzipien, die helfen, uns an schwierigen Kreuzungen richtig zu verhalten. Ja, es gibt Themen, wo Ampeln stehen. Aber es gibt auch ganz viele Themen, wo wir diese Ampeln nicht finden. Und die Versuchung ist gross, einfach eine Ampel aufzustellen. Es ist dann oft die Ampel unsrer Tradition, unsere eigenen Meinungen. „Bei uns macht man das so. Bei dieser Art Kreuzungen, schalten wir grundsätzlich auf Rot.“Und wir wundern uns, warum wir dann bei einigen Kreuzungen nie weiterkommen.
Es gibt aber Themen, wo die Bibel überhaupt nichts dazu sagt, weil es diese Themen vor 2000 Jahren noch gar nicht gab! Da müssen wir entscheiden, ob das eine Kreuzung ist mit rechts vor links, ein Kreisverkehr, eine Vorfahrtstraße oder eine Nebenstraße. Und es gibt auch Themen, wo bisher eine Ampel stand, die aber nicht länger in Betrieb ist. Und nun müssen alle Verkehrsteilnehmer entscheiden, wie in Zukunft an dieser Kreuzung gefahren wird. Sie müssen miteinander kommunizieren.
Ein gutes Beispiel dafür sind die Speisegebote im Alten Testament. Dort stand für ganz viele Speisen die Ampel immer auf Rot. Plötzlich kommt Jesus und setzt diese Ampel außer Betrieb. Plötzlich gibt es kein generelles Verbot mehr für bestimmte Speisen (Mk.7,19). Trotzdem darf ich nicht einfach alles essen, sondern es gibt völlig neue Kriterien, was ein Christ essen darf.
Im Römerbrief haben sie entschieden, auf Gläubige mit schwachem Gewissen Rücksicht zu nehmen und daher kein Götzenopferfleisch zu essen.(Röm.14)
Im Kolosserbrief haben die Christen entschieden Götzenopferfleisch zu essen, weil der Widerstand gegen bestimmte Speisen dort nicht von Gläubigen mit einem schwachen Gewissen her kam, sondern von scheinheiligen gnostischen Irrlehrern, denen man sich nicht beugen wollte.(Kol.2,21)
Der Straßenverkehr ist anspruchsvoll! Und darum muss man in die Fahrschule. Und dort muss man ziemlich viele Stunden nehmen und ziemlich viel Geld hinlegen, bis man eine Fahrerlaubnis bekommt. Man muss eine theoretische und eine praktische Prüfung ablegen. Und es gibt Länder, da reicht es einmal mit dem Auto um den Block zu fahren. Aber dafür gehören wir zu den Ländern der Welt mit den wenigsten Unfällen und Verkehrstoten.
Auch das Leben als Christ ist anspruchsvoll. Und weil nicht an jeder Lebenskreuzung und bei jeder Entscheidung eine himmlische Ampel steht, die mir sagt, wie ich leben soll, muss ich in die biblische Fahrschule gehen. Ich lese die Bibel nicht als Beschreibung, wo überall in der Landschaft des Lebens Ampeln stehen, sondern es ist mein Fahrschulbuch, das mir grundsätzlich aufzeigt, wie man sich im Straßenverkehr des Lebens verhält. Ich lerne Entscheidungen zu treffen auch ohne eindeutige Ampel. Ich lerne darin Christus kennen, sein Wesen, sein Verhalten und seine Entscheidungen. Und ich verinnerliche dieses Wesen und bin dann in der Lage, ebenfalls christusmäßige Entscheidungen zu treffen. In mir regiert dann nicht der Buchstabe, sondern der Geist.
Kann ich das ausnutzen? Ist die Gefahr, dass sich meine Regeln selber aufstelle? Natürlich ist das eine Gefahr. Wer sich nicht wirklich bemüht und das Ganze oberflächlich macht, der nimmt vielleicht manchem die Vorfahrt und trifft falsche Entscheidungen an wichtigen Kreuzungen. Vielleicht bauen wir sogar einen Unfall.
Wer es aber nicht ernst meint, dem nützen auch Ampeln nichts. Wer kein Bock auf Gehorsam hat, der stoppt auch nicht an der roten Ampel! Und alle Verkehrsschilder schützen nicht davor dem anderen die Vorfahrt zu nehmen oder den Stinkefinger zu zeigen.
Für mich ist die Bibel nicht das Verzeichnis der himmlischen Ampeln, sondern meine Fahrschule, in der ich ständig das Verhalten Jesu im Straßenverkehr erlernen kann. Ich möchte so fahren wie er, ich möchte so entscheiden wie er, ich möchte sein Wesen so gut kennen lernen und verstehen, dass ich auch an ganz neuen Kreuzungen, auf die Jesus nie gestoßen ist und auch nicht die Apostel, trotzdem ganz im Sinne meines Fahrlehrers entscheiden und abbiegen kann.